Um uns herum ist alles schwarz. Mein 6-Jähriger Sohn umklammert meine Hand. Ob es eine gute Idee war mit ihm her zu kommen? Ein persönlicher Erfahrungsbericht von meinem Besuch mit Kind in der Hamburger Daueraustellung “Dialog im Dunkeln”.
Selten habe ich so eine angenehme Stimme wie die von Michael gehört. Freundlich ist sie, ruhig und klangvoll. Michael erkundigt sich, ob wir noch da sind, er sagt, ob wir uns links oder rechts halten sollen, dass wir nach den Blättern tasten oder unsere Finger nach dem Wasser ausstrecken sollen. Michael ist sehbehindert. Nicht blind, aber doch so stark eingeschränkt, dass er nur mit einer speziellen Lupe lesen kann. Dass er uns nur verschwommen sehen würde, wenn wir bei Lichte direkt vor ihm stünden. Michael führt mich und den Hamburger Jung heute durch den Dialog im Dunkeln.
Voller Vertrauen geben wir uns hin. Ihm und dem schwarzen Raum.
Und dieser Raum scheint viel mehr Raum als alles, was wir sonst sehend durchschreiten. Unten, oben, links und rechts, das alles ist so präsent. Ein schwarzer Raum. Kein schwarzes Nichts. Er könnte unendlich groß oder auch nur etwas größer sein als unsere Arme reichen können. Manchmal ist es, als würde der Boden wanken. Wir tasten uns voran. In der linken Hand halte ich einen Blindenstock, an der rechten meinen Sohn. Auch er hat einen Blindenstock, um sich besser zurecht zu finden. Meine Hand umklammert er fest. Ganz anders als sonst. Hier in dieser absoluten Schwärze, wo nur ab und an ein paar weiße Pünktchen wie optische Täuschungen vor der Netzhaut flackern, ist er auf einmal wieder viel kleiner als sonst. Mein großer Schuljunge.
Am Wasserfall vorbei, über den Wochenmarkt in die Stadt
Wir gehen über eine Brücke, an einem Wasserfall entlang, vorbei an wilden Pflanzen zu einem Markt. Möhren, Kartoffeln, Sellerie und Fenchel liegen hier in Körben bereit. Michael erklärt uns ruhig, dass wir an allem riechen, aber nichts in den Mund stecken sollen. Zwar wird das Obst und Gemüse jeden Morgen frisch in die Ausstellung geliefert, aber viele Menschen fassen es an. Das versteht der Hamburger Jung und er riecht neugierig an allem. Was er von zuhause kennt, erkennt er sofort.
In einer Holzhütte riechen wir das warme Holz. Es ist, als hätte die Hütte den ganzen Winter leer gestanden und heute wären wir sie zum ersten Mal wieder hier. Wir ertasten eine Küchenzeile, ein Radio läuft.
Weiter geht es in die Stadt. Laut ist es hier, Autos hupen. Wir gehen über eine Straße, als das Signal für die Blinden uns bedeutet, gehen zu können. Wir tasten ein Auto. Können sogar ertasten, welches Auto das ist. Danach wird es wieder still. Puh. Anstrengend war das.
Soll der Strohhalm grün oder pink sein?
Zum Abschluss gehen wir mit Michael noch an die Bar. Im vollkommener Dunkelheit bestellen wir bei Barkeeper André eine Apfelschorle und einen Kakao. Ob ich einen grünen oder pinken Strohhalm will, möchte er wissen. Der Witzbold. Die Menschen in dieser Ausstellung, das wird auch der Hamburger Jung später überall erzählen, sind alle wahnsinnig zugewandt und freundlich. Ob nun Kerim, der uns einlässt, Michael, der uns führt oder auch André der uns Drinks und Gummibärchen serviert. Vielleicht spüren wir ihre Freundlichkeit auch nur besonders, weil wir hier so auf sie angewiesen sind. Der Hamburger Jung jedenfalls schließt sie alle in sein Herz.
An der Bar unterhalten wir uns noch mit Michael. Bereitwillig gibt der Auskunft darüber, wie er lebt, dass er auch Kinder hat. Sehende Kinder. Wie er sieht. Dass es ihm egal ist, was auf den Bildern zu sehen ist, die an den Wänden hängen. Für ihn ist das, was er sieht das Bild. Wie er träumt. Dass er in seinen Träumen noch schlechter sieht als am Tag. Dass seine Sehkraft weiter abnehmen wird. Wir spüren hier mit allem, was wir heute erlebt und gefühlt haben, den wahren Dialog im Dunkeln.
Für uns hat sich heute eine neue Welt geöffnet. Die Welt der Blinden.
Dialog im Dunkeln mit Kindern
Ob ich Euch also empfehlen kann mit Kindern in die Ausstellung zu gehen? Unbedingt! Der Dialog im Dunkeln empfiehlt den Besuch ab 7 Jahren, sagt aber auch, dass es grundsätzlich natürlich auch mit kleineren Kindern geht, so lange diese sich in der Dunkelheit nicht fürchten. Mein Sohn ist fast 7. Unser 4-Jähriger hätte in der Dunkelheit noch Angst bekommen, da bin ich ziemlich sicher. Ich glaube ihr könnt es als Eltern gut einschätzen, ob euer Kinder sich auf dieses Abenteuer einlassen würden. Die Führungen dauern 60 oder 90 Minuten.
Der Hamburger Jung jedenfalls war vom Dialog im Dunkeln beeindruckt wie selten zuvor. Er hat gespürt, was ihm bisher keiner erklären konnte. Wie es sich anfühlen muss, blind zu sein. Er hat allen seinen Freunden davon erzählt und spricht noch heute, Wochen später, davon. Und ich?! Ich habe es sehr genossen, mich mit ihm durch die Dunkelheit zu tasten. Denn auch das ist der Dialog im Dunkeln: ein sehr verbindendes Erlebnis!
Im Überblick: Dialog im Dunkeln
Dialog im Dunkeln, Alter Wandrahm 4, Hamburg-Speicherstadt
Eine Führung solltet ihr unbedingt vorab hier reservieren.
Tipp: Der Dialog im Dunkeln bietet auch Führungen als Kindergeburtstag an.
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